Kasuistiken Notfall Rettungsmed https://doi.org/10.1007/s10049-018-0421-z
C. Paul1 · S. Sanader2 · W. A. Wetsch3 · R. Stangl1 · A. Lechleuthner1 1
Institut für Notfallmedizin IfN, Berufsfeuerwehr Köln, Köln, Deutschland Klinik und Poliklinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde, Uniklinik Köln, Köln, Deutschland 3 Klinik für Anästhesiologie und Operative Intensivmedizin, Uniklinik Köln, Köln, Deutschland 2
© Springer Medizin Verlag GmbH, ein Teil von Springer Nature 2018
Lebensbedrohliche Blutung nach Tonsillektomie Kasuistik mit Überlegungen zum präklinischen Versorgungsalgorithmus
Fallbeschreibung Notruf Die Leitstelle der Berufsfeuerwehr Köln alarmiert um 17:24 Uhr bzw. 17:25 Uhr gemäß Einsatzstichwort „INTERN 2“ Rettungswagen (RTW) und Notarzteinsatzfahrzeug (NEF). Während der Anfahrt erhalten beide Fahrzeuge über Funk die Information, dass es bei einer jungen Frau nach vorangegangener Mandeloperation nun zu einer Nachblutung gekommen sei. Der RTW erreicht den Einsatzort um 17:29 Uhr, das NEF eine Minute später.
Situation vor Ort Die RTW-Besatzung findet eine schlanke, 20 Jahre junge Patientin vor, die im Wohnzimmer ihres Elternhauses kraftlos zusammengesunken auf dem Boden kauert. Sie ist wach und ansprechbar, wirkt äußerst blass, hustet wiederkehrend Blut in eine Schüssel und gibt stark verängstigt an, keine Luft zu bekommen. Ohne Zeitverzug trägt einer der Rettungsassistenten die ca. 50 kg leichte Frau auf den Armen in den unmittelbar vor dem Haus parkenden RTW. Der in diesem Augenblick eintreffende Notarzt bittet die RTW-Besatzung, im Fahrzeug einen möglichst großlumigen Venenzugang zu legen und Sauerstoff über eine Gesichtsmaske zu verabreichen. Er selbst läuft unmittelbar ins Haus, um sich rasch einen Überblick über den
bisherigen Blutverlust zu verschaffen und orientierende fremdanamnestische Angaben von den Eltern zu erhalten.
Fremdanamnese Die Mutter berichtet dem Notarzt, dass sich ihre Tochter vor einer Woche in einem Krankenhaus einer Tonsillektomie unterzogen habe. Am 2. Tag nach dem Eingriff sei schon einmal eine Notoperation aufgrund einer Nachblutung erforderlich gewesen. Seit gestern sei sie nun zuhause und habe sichbislang gutgefühlt. Eben habe dann ohne Vorwarnung eine heftige Blutung aus dem Mundraum eingesetzt. Die Mutter habe daraufhin sofort den Notruf getätigt. Bis zum Eintreffen des Rettungsteams habe die Tochter bereits so viel hellrotes Blut ausgespuckt und ausgehustet, dass 4 große MüsliSchüsseln vollgelaufen seien. Die Mutter präsentiert dem Notarzt zwei dieser Schüsseln, woraufhin dieser den bisherigen Blutverlust auf ca. 2000 ml schätzt. Internistische Erkrankungen und Allergien auf Seiten der Tochter werden von der Mutter verneint.
extrem unruhig ist, war es den Rettungsassistenten bislang nicht möglich, einen venösen Zugang zu schaffen, Sauerstoff zu verabreichen oder das apparative Monitoring zu etablieren. Während der Notarzt nun mit Hilfe eines der Rettungsassistenten erfolgreich eine Venenverweilkanüle (16 G) legt, stammelt die Patientin: „Ich kriege keine Luft! Muss ich jetzt sterben?“ Eine pulsoxymetrische Sättigung kann bei starker Zentralisation nicht abgeleitet werden, die Rekapillisierungszeit ist unterdessen deutlich verzögert. Kaum hat der Notarzt das Team gebeten, schnellstens Intubations- und Reanimationsbereitschaft herzustellen, erleidet die Patientin einen Kreislaufstillstand mit Schnappatmung. Sofort wird mit der manuellen Herzdruckmassage begonnen. Die Masken-Beutel-Beatmung ist aufgrund großer Blutmengen im Mundrachenraum jedoch unmöglich. Im parallel dazu angelegten EKG finden sich bradykarde, breite Kammerkomplexe (Hf ca. 20/min), die in Kombination mit der zentralen Pulslosigkeit als elektromechanische Dissoziation (EMD) interpretiert werden.
Reanimation im RTW Schwierige Atemwegsicherung Als der Notarzt kaum 1 min später den RTW betritt, sitzt die Patientin aufrecht auf der Trage und ringt panisch nach Luft. Auch ohne Stethoskop ist ein lautes, brodelndes Atemgeräusch zu vernehmen. Da die Patientin in Anbetracht zunehmender Hypoxie psychomotorisch
Auch mit dem kaliberstärksten Absaugkatheter (18 Ch) kann der Notarzt keine ausreichende Übersicht gewinnen, da große Koagel der Rachenwand anhaften und den Larynx verlegen. Zudem steigt unter laufender HerzdruckmasNotfall + Rettungsmedizin
Kasuistiken sage immer wieder frisches Blut im Mundraum auf. Weil eine blinde Intubation nicht erfolgversprechend erscheint, legt der Notarzt zunächst überbrückend einen Larynxtubus (LT) der Größe 4 mit gastralem Drainagelumen ein, wobei er den Cuff bewusst überblockt, um möglicherweise eine Kompression des Wundbetts erreichen zu können. Vor dem ersten Atemhub versucht er zudem, über den LT endotracheal abzusaugen. Hierbei lässt sich zwar reichlich Blut gewinnen, die Beatmung über den LT ist dennoch insuffizient. Daher stellt der Notarzt die Indikation zur notfallmäßigen chirurgischen Atemwegssicherung durch Koniotomie. Der Hals der jungen Frau ist schlank und die Anatomie gut nachvollziehbar. Nach Längsinzision der Haut mit einem Stichskalpell, Querinzision des Lig. conicum sowie Spreizen des entstandenen Stomas mit einem Spekulum aus dem vorhandenen Koniotomie-Kombi-Set (MELKER ) kann problemlos und zügig eine Trachealkanüle (5,5 Ch) eingelegt werden. Die manuelle Ventilation hierüber ist zwar prinzipiell möglich, dennoch sind weiterhin deutlich erhöhte Beatmungsdrücke erforderlich. Diese lassen sich auch durch wiederholte endotracheale Absaugungen, die jeweils frisches Blut zutage fördern, kaum günstig beeinflussen. Im Zuge der Reanimation wird leitlinienkonform zudem wiederholt 1 mg Adrenalin intravenös appliziert und über einen zweiten großlumigen Venenzugang (ebenfalls 16 G) zusätzlich eine forcierte Volumentherapie per Druckinfusion durchgeführt.
®
Transport in die Klinik Der Notarzt entscheidet sich für die Einweisung in ein Maximalversorgerzentrum, obwohl dieses ca. 5 km weiter vom Notfallort entfernt ist als das nächste Krankenhaus der Grundversorgung mit HNO-Abteilung. Telefonisch meldet er die Patientin in der Zentralen Notaufnahme an und bittet um die Alarmierung der Dienstärzte aus Anästhesie- und HNO-Abteilung. Ferner rät er an, sich auf eine Massivtransfusion einzustellen. Der Transport beginnt um 17:49 Uhr nach nur 19 min präklinischer VersorNotfall + Rettungsmedizin
gungszeit und findet unter fortgesetzten Reanimationsbemühungen mit manueller Beutel-zu-Koniostoma-Beatmung, Herzdruckmassage, Infusionstherapie und regelmäßiger intravenöser Adrenalininjektion statt. Kompressionsversuche im Bereich des ehemaligen Tonsillenbetts sind im Verlauf nicht notwendig, da mittlerweile keine floride Blutung mehr vorzuliegen scheint – mutmaßlich aufgrund des unter Herzdruckmassage eingeschränkten Perfusionsdrucks sowie des reduzierten zirkulierenden Blutvolumens. Um 18:03 Uhr wird die Patientin im Schockraum an das bereitstehende interdisziplinäre Behandlungsteam übergeben.
Ankunft in der Klinik Nach erfolgter Übergabe werden die Maßnahmen der kardiopulmonalen Reanimation (CPR) nahtlos durch das Schockraum-Personal weitergeführt. Beim Umlagern werden die CPR-Maßnahmen kurz pausiert; es zeigt sich eine Asystolie im EKG. Mit hohen Beatmungsdrücken ist eine minimale Ventilation über das Koniostoma möglich, endexpiratorisch kann CO2 nachgewiesen werden (30 mm Hg), auskultatorisch lassen sich beidseits apikal leise Atemgeräusche vernehmen. Die Pupillen sind zu diesem Zeitpunkt maximal weit und entrundet, Pupillen- und Kornealreflexe lassen sich beidseits nicht auslösen. Es erfolgt die Anlage eines großlumigen zentralen Venenkatheter (ZVK, Typ Shaldon, zweilumig mit jeweils 12 Fr) in der Leiste. Hierüber werden mit einem Druckinfusionsgerät erwärmte Infusionslösung sowie 4 Erythrozytenkonzentrate (EK, 0 negativ, ungekreuzt) transfundiert. Zudem werden 2 g Tranexamsäure (TXA) appliziert. In der bei Punktion abgenommenen venösen Blutgasanalyse (BGA) zeigen sich eine massive Anämie (Hb 3,1 g/dl, pH 6,66, Lac 11,3 mmol/l) sowie eine Hyperkapnie bei erhaltener Oxygenierung (pO2 443 mm Hg, pCO2 106 mm Hg). Die Werte werden nach Anlage eines arteriellen Katheters verifiziert; es erfolgt daraufhin die Gabe von Pufferlösung gemäß BGA. Durch den Radiologen können Pneumothoraces bzw. eine Perikardtam-
ponade als mögliche reversible Ursachen des Kreislaufstillstands ausgeschlossen werden. Oberarzt und Assistenzarzt der HNOAbteilung inspizieren parallel dazu nach Einlage eines McIvor-Mundsperrers die Mundhöhle. Dabei zeigen sich beidseits frisch-blutig belegte Tonsillenbetten mit einer noch aktiv sickernden Blutung auf der rechten Seite. Enoral lässt sich unter bipolarer Koagulation keine Bluttrockenheit erreichen. Der größte Blutverlust findet zu diesem Zeitpunkt jedoch über das liegende Koniostoma statt. Nach Rücksprache mit der Anästhesie wird bei insuffizienter Beatmungsmöglichkeit das Koniostoma in ein operatives Tracheostoma umgewandelt. Weil keine Blutungskontrolle erzielt und sich die Blutgerinnung trotz Anwendung eines Massivtransfusionsprotokolls (in Summe 15 EK, 7 FFP, 2 TK, 5 g Ca2+, 2 g TXA, 5 g Fibrinogen) nicht stabilisiert, wird die Entscheidung zur externen operativen Freilegung der rechtsseitigen Halsgefäße gefällt. Unter laufender Herzdruckmassage – mittlerweile durch ein automatisches Reanimationsgerät (Lund University Cardiopulmonary Assist System, LUCAS 2 ) – ist eine schnelle Präparation bei persistierender Blutung allerdings aufgrund von Bewegungsartefakten durch die Herzdruckmassage stark erschwert. Die Blutung kann auch operativ nicht zum Stillstand gebracht werden. Zu keinem Zeitpunkt kann ein Return of Spontaneous Circulation (ROSC) erreicht werden. Die Beatmungssituation verschlechtert sich zudem weiterhin drastisch – mutmaßlich aufgrund der großen Menge aspirierten Bluts. Bronchoskopisch können größere, die Atemwege obstruierende Koagel geborgen werden; es zeigen sich jedoch zusätzlich große Mengen flüssigen Bluts in den unteren Atemwegen. Mit dem diensthabenden Oberarzt der Abteilung für Herz-Thorax-Chirurgie wird bettseitig die Implantation einer extrakorporalen Membranoxygenierung (ECMO) als Ultima Ratio diskutiert. Aufgrund der führenden und nicht beherrschbaren Blutungssituation, der CPR über nunmehr 150 min mit ausbleibendem ROSC und der mittlerweile prolongierten massiven Hypoxämie und
®
Zusammenfassung · Abstract Hyperkapnie wird diese Option jedoch im interdisziplinären Konsens verworfen und der Abbruch der Therapiemaßnahmen beschlossen. Trotz maximaler Bemühungen verstirbt die junge Patientin um 20:08 Uhr in der Zentralen Notaufnahme.
Betreuung und Nachsorge Die herbeigeeilten Eltern werden sehr früh nach ihrer Ankunft in der Klinik von einer Krankenhauseelsorgerin, die RTW-Besatzung im weiteren Verlauf vom Team für Psychosoziale Unterstützung (PSU) der Berufsfeuerwehr Köln betreut. Dem beteiligten Klinikpersonal wird im Kontext des Präventionsprogramms Second Victim ein Nachsorgegespräch in der hausinternen Klinik und Poliklinik für Psychosomatik angeboten.
Diskussion Nach Angaben des statistischen Bundesamts Wiesbaden war die Tonsillektomie im Jahre 2014 mit 22.172 Fällen die vierthäufigste Operation bei Patienten im Alter bis 14 Jahre [1]. Im Jahr 2006 hingegen waren die Fallzahlen noch fast doppelt so hoch. Der Rückgang ist am ehesten auf eine zunehmend kritischere Indikationsstellung zurückzuführen. Gründe für eine Tonsillektomie sind ausgewählte entzündliche Erkrankungen der Tonsillen und des Peritonsillarraums, Atemwegsobstruktion durch Tonsillenhyperplasie sowie der Verdacht auf ein Malignom [2]. Relevante Probleme der postoperativen Phase sind neben Wund- und Schluckschmerzen v. a. Blutungen. Treten Blutungsereignisse innerhalb der ersten 24 h postoperativ auf, werden sie als Primärblutung bezeichnet. Diese haben ihren Gipfel innerhalb der ersten 8 h. Ab dem 2. Tag wird von Sekundärblutungen gesprochen, deren Gipfel wiederum zwischen dem 5. und 8. postoperativen Tag liegt [3]. Je nach Studie wird die Rate an Blutungskomplikationen insgesamt zwischen 3 % und 6 % angegeben, wobei nicht alle Nachblutungen operativ versorgt werden müssen. Lebensbedrohliche Blutungen sind im Einzelfall möglich, letale Verläufe jedoch glücklicherweise extrem selten [4]. Mehrfachnachblutun-
Notfall Rettungsmed https://doi.org/10.1007/s10049-018-0421-z © Springer Medizin Verlag GmbH, ein Teil von Springer Nature 2018 C. Paul · S. Sanader · W. A. Wetsch · R. Stangl · A. Lechleuthner
Lebensbedrohliche Blutung nach Tonsillektomie. Kasuistik mit Überlegungen zum präklinischen Versorgungsalgorithmus Zusammenfassung Eine junge Frau erleidet eine Woche nach stattgehabter Tonsillektomie eine Nachblutung in ihrem Elternhaus. Der alarmierte Rettungsdienst trifft die Patientin initial wach an. Aufgrund einer massiven Blutaspiration wird die Patientin jedoch rasch hypoxisch und wenig später reanimationspflichtig. Die endotracheale Intubation misslingt, sodass ein chirurgischer Atemweg etabliert werden muss. Unter Reanimationsbedingungen wird die junge Frau in die Universitätsklinik eingewiesen. Trotz operativer Exploration des Situs und intensiver Wiederbelebungsmaßnahmen
kann die Patienten nicht stabilisiert werden und verstirbt. Anhand dieser Kasuistik wird versucht, die bei einer lebensbedrohlichen Nachblutung erforderlichen Maßnahmen wie Management des schwierigen Atemwegs, Blutungskontrolle und Kreislauftherapie in einem griffigen Algorithmus abzubilden. Schlüsselwörter Tonsillektomienachblutung · Management schwieriger Atemweg · Yankauer-Sauger · Rachentamponade · Hämostyptika
Life-threatening post-tonsillectomy hemorrhage. Case report including suggestions for a prehospital emergency care algorithm Abstract A young woman suffered an out-of-hospital hemorrhage in her parents’ home one week after having undergone tonsillectomy. She was initially awake when the emergency medical service personnel arrived. But because of severe aspiration of blood, she quickly became hypoxemic and required cardiac resuscitation. Endotracheal intubation failed so that airway had to be secured by means of cricothryrotomy. Under resuscitation care, she was taken to the university hospital. Despite surgical exploration of the pharyngeal and collar region as well as advanced life support, return of spontaneous
gen traten in der „Österreichischen Tonsillenstudie“ von Sarny et al. bei einem Fünftel des Patientenkollektivs auf. Das Risiko, nach einer – wenn auch nur geringfügigen – Erstnachblutung eine weitere, operationsbedürftige Nachblutung zu erleiden, war hier 5-fach erhöht [5]. Nach Stuck et al. werden Häufigkeit und Schwere der Nachblutung von der Erfahrung des Operateurs, dem Alter und Geschlecht des Patienten, der Narkoseform sowie der OP-Methode und dem intraoperativen Blutstillungsverfahren beeinflusst [2]. Eine große schwedische Registerstudie mit 18.712 Patienten bestätigte 2016, dass das Nachblutungsrisiko ab dem 11. Lebensjahr deutlich ansteigt, v. a.
circulation (ROSC) could not be achieved and the patient died. On the basis of this case report, an attempt is made to include all emergency procedures that are necessary in posttonsillectomy hemorrhage such as difficult airway management, bleeding control and hemodynamic support into a useful algorithm. Keywords Post-tonsillectomy hemorrhage · Difficult airway management · Yankauer suction catheter · Oro-pharyngeal packing · Hemostatic agents
das männliche Geschlecht betrifft und bei der Verwendung von elektrochirurgischen Maßnahmen mit großer Hitzeentwicklung signifikant zunimmt [6]. Stammberger et al. schlagen zur Klassifikation von Nachblutungen ein System von 7 Graden (A1, A2, B1, B2, C, D, E) vor, wobei das zeitliche Auftreten des Blutungsereignisses sowie die Behandlungsbedürftigkeit Eingang finden [5]. Lebensbedrohliche Nachblutungen nach Mandeloperationen treten oftmals schwallartig auf [7]. Der Patient wird durch den Blutverlust mit der Gefahr eines hämorrhagischen Schocks sowie durch die Verlegung der Atemwege, maßgeblich durch die Aspiration von Notfall + Rettungsmedizin
Kasuistiken
Abb. 1 8 Beispiele für unterschiedliche Sauger-Typen
Abb. 3 8 Kompression der Tonsillen-Loge mittels Magill-Zange (Szene nachgestellt)
Blut, gefährdet. Demzufolge haben bei respiratorischer Beeinträchtigung die Sicherung von Ventilation und Oxygenierung sowie die Aufrechterhaltung eines ausreichenden Herzzeitvolumens oberste Priorität. Dabei stellt die endotracheale Intubation nach Rapid Sequence Induction (RSI) auch in diesem Fall den Goldstandard der Atemwegssicherung dar [2]. Um bestmögliche Intubationsbedingungen zu erzielen, sollte idealerweise anstelle der im Rettungsdienst gebräuchlichen flexiblen Absaugkatheter ein großlumiger starrer Sauger vom Typ Yankauer verwendet werden (. Abb. 1). Diese Saugerart – im OP-Bereich auch „Tonsillensauger“ genannt – lässt sich besser dirigieren und dadurch eine orale Blutungsquelle nahezu punktgenau absaugen. Bedenkt man, dass sowohl im RTW als auch im NEF eine mobile Absaugeinheit zu finden ist, lässt sich durch Zusammenführen der Ausrüstung die Saugleistung bei massiven Blutungsereignissen zudem verdoppeln (. Abb. 2). Dennoch müssen Notfall + Rettungsmedizin
Abb. 2 8 Doppelte Absaugung im RTW (Szene nachgestellt)
die Einsatzkräfte bei Notfällen dieser Art unbedingt mit einer Cannot-ventilate-cannot-intubate-Situation (CVCI) rechnen und zwingend entsprechende Vorbereitungen für das Difficult-Airway-Management (DAM) treffen. Dies sollte gemäß den regional gültigen und erprobten Protokollen erfolgen. Stuck et al. merken an, dass die Maskenbeatmung aufgrund der Blutungssituation eine unzureichende Strategie zur passageren Beatmung sei und empfehlen den frühzeitigen Einsatz von supraglottischen Atemwegshilfsmitteln (SGA) wie Larynxmaske oder -tubus [2]. In der Literatur finden sich denn auch Einzelfallberichte zur erfolgreichen Beatmung von Patienten mittels Larynxmaske bei Posttonsillektomieblutung [8, 9]. Sollten Ventilationsversuche via SGA ebenfalls scheitern, muss folgerichtig die Indikation zur notfallmäßigen chirurgischen Atemwegssicherung durch Koniotomie gestellt werden. Sollte der Patient bereits eine relevante Menge Blut aspiriert haben, sind erhöhte Beatmungsdrücke – so wie im dargestellten Fall beobachtet – trotz erfolgreicher Koniotomie nachvollziehbar. Wesentlicher Grundsatz der Erstversorgung stark blutender Verletzungen stellt – wenn anatomisch möglich – deren Kompression dar. Nach erfolgter Atemwegssicherung kann daher versucht werden, mit Hilfe einer tupferarmierten Magill-Zange Druck auf das blutende Tonsillenbett auszuüben (. Abb. 3). Bei digitaler Erreichbarkeit des Tonsillenbetts – v. a. bei Kindern – kann dieses ggf. auch anhaltend manuell komprimiert werden.
Windfuhr fand in einer langjährigen Nachbetrachtung des eigenen operierten Patientenguts von 1980 bis 2006 insgesamt 79 Patienten mit hämorrhagischem Schock bei Tonsillektomienachblutung [10]. Im Zuge der Notfallversorgung war bei einigen Patienten die Tamponade des Mund-Rachen-Raums erforderlich. Dies kann und sollte ggf. bei florider Blutung bereits präklinisch erfolgen. Allerdings wird ein ausgiebiges oropharyngeales Packing vom Patienten verständlicherweise nur nach vorheriger Narkoseeinleitung toleriert. Die grundsätzliche Effektivität von Rachentamponaden wird auch von anderen Autoren bestätigt, z. B. von Bernd et al. im Zusammenhang mit Tumorblutungen im Oround Hypopharynx [7] sowie von Orthopoulos et al. bei Schussverletzungen im Gesichtsbereich [11]. Es lassen sich keine eindeutigen Empfehlungen finden, welche Materialien für eine solche Tamponade verwendet werden sollten. Ein enges, druckvolles Packing mit herkömmlichem Verbandsmull erscheint hierbei in jedem Fall unproblematisch. Ob die zusätzliche oder alternative Anwendung von Verbandsstoffen, die mit Hämostyptika beaufschlagt sind , in diesem Zusammenhang hilfreich ist, kann aktuell nur vermutet werden. Aus der Militär- bzw. taktischen Medizin sind seit längerer Zeit erfolgreiche Anwendungen bekannt. Eine abschließende Bewertung der Nutzung im zivilen Sektor erfordert weitere Erfahrungswerte. In jedem Falle sollte der Umgang mit diesen im Rettungsdienst vielerorts noch ungebräuchlichen Verbandsmaterialien im Vorfeld probiert worden sein – z. B.
deTection Airway Pressure
• TE-Nachblutung erkennen
• 2 Intubationsversuche, dann... • Koniotomie?! • systemisch: Volumen-Therapie, permissive Hypotension • lokal: manueller Druck, Packing der Mundhöhle • Voranmeldung
Evacuation • rascher Transport
Abb. 5 8 TAPE-Algorithmus zur Versorgung einer lebensbedrohlichen Tonsillektomienachblutung. TE Tonsillektomie
Abb. 4 8 Anwendertraining Hämostyptika-Gazen
Infobox 1 Reversible Ursachen des Herzkreislaufstillstands 4H 4 4 4 4
Hypoxie Hypovolämie Hypothermie Hyper-/Hypokalämie
HITS 4 Herzbeuteltamponade 4 Intoxikation 4 Thrombembolie (MI, LAE) 4 Spannungspneumothorax
an entsprechenden Phantomen oder Tierkadavern (. Abb. 4). Zur optimalen Blutdruckeinstellung bei Tonsillektomienachblutung finden sich keine detaillierten Angaben in der Literatur. Allerdings soll bei der Erstversorgung eine hypertensive Kreislaufsituation laut Bernd ausgeschlossen werden [7]. Bei einer massiven, präklinisch trotz Kompression oder Tamponade nicht kontrollierbaren Blutung erscheint das aus der Polytraumaversorgung bekannte Prinzip der „permissiven Hypotension“ aus praktischen Erwägungen heraus sinnvoll zu sein. Auch hier könnte ein moderat erniedrigter Blutdruck toleriert werden, um der Tonsillektomienachblutung keinen Vorschub zu leisten. Nach einer jüngsten Untersuchung von Zickenrott et al. halten mittlerweile über 50 % der Rettungsdienstbereiche der BRD Tranexamsäure (Cyclocapron ) vor, um beim Traumapatienten mit schwerer Blutung eine Hyperfibrinolyse zu inhibieren [12]. Es gibt Hinweise darauf, dass dies eventuell auch bei der Postton-
®
sillektomieblutung effektiv sein könnte [13, 14]. Eindeutige Aussagen für diesen speziellen Anwendungsbereich fehlen bis dato jedoch. Alle vorherigen Überlegungen lassen sich in einem Versorgungsalgorithmus zusammenfassen. Der in . Abb. 5 dargestellte „TAPE“-Algorithmus ist zwar nicht wissenschaftlich evaluiert, er orientiert sich jedoch grundsätzlich am gängigen ABCDE-Schema und fokussiert auf die im Falle der Tonsillektomie-Nachblutung erforderlichen und sinnvollen Maßnahmen. Der Algorithmus berücksichtigt dabei automatisch die naheliegenden behandelbaren Ursachen (Hypoxie und Hypovolämie) aus dem Komplex der „4 H und HITS“ (. Infobox 1), falls es im Rahmen einer Tonsillektomie-Nachblutung – so wie im vorbeschriebenen Fall – zu einer Reanimationssituation kommen sollte. Daraus folgt selbstverständlich nicht, dass jeder Patient mit präklinischer Tonsillektomienachblutung zwingend der Narkoseeinleitung und Atemwegssicherung bedarf. Vielmehr sollen die Fälle angesprochen werden, bei denen aufgrund von Hämorrhagie und aspirationsbedingter Asphyxie eine komplexe Versorgungssituation mit Difficult-Airway-Management, Blutungskontrolle, Kreislauftherapie etc. gegeben ist.
eingangs nicht vorhersehbar und selbst vor Ort nicht zuverlässig zu prognostizieren. Hämorrhagischer Schock und Atemwegsverlegung können einen komplexen Katalog invasiver Maßnahmen erforderlich machen. Daher muss die Leitstelle bei einer Tonsillektomienachblutung bereits primär RTW und NEF alarmieren. Im Vordergrund stehen die ggf. auch chirurgische Sicherung der Atemwege mit optimiertem Instrumentarium sowie die Aufrechterhaltung eines Minimalkreislaufs. Sinnvolle blutstillende Maßnahmen – z. B. oropharyngeales Packing mit Hilfe von mit Hämostyptika beaufschlagten Gazen – müssen im Einzelfall beurteilt und durchgeführt werden. Die Anwendung neuartiger Verbandsstoffe sollte im Vorfeld trainiert werden. Schlussendlich ist nach gezielter Anmeldung ein rascher Transport in eine leistungsstarke Klinik anzustreben.
Fazit für die Praxis
Interessenkonflikt. C. Paul, S. Sanader, W.A. Wetsch, R. Stangl und A. Lechleuthner geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht. Es gibt keine Geschäftsbeziehungen zu den Herstellern von im Artikel erwähnten oder abgebildeten Produkten.
Blutungen nach Operationen im MundRachen-Raum können in seltenen Fällen lebensbedrohliche Ausmaße annehmen. Dramatik und Dynamik dieser Notfälle sind zum Zeitpunkt des Notruf-
Korrespondenzadresse C. Paul Institut für Notfallmedizin IfN, Berufsfeuerwehr Köln Scheibenstraße 13, 50737 Köln, Deutschland
[email protected] Einhaltung ethischer Richtlinien
Dieser Beitrag beinhaltet keine von den Autoren durchgeführten Studien an Menschen oder Tieren.
Notfall + Rettungsmedizin
Kasuistiken Alle Personen, die über Bildmaterial innerhalb des Manuskripts zu identifizieren sind, haben hierzu ihre Einwilligung gegeben.
Literatur 1. Statistisches Bundesamt (2015) Pressemitteilung Nr. 357 vom 28.09.2015. online abgerufen am 18.03.2017 2. Stuck BA, Windfuhr JP, Genzwürker H et al (2008) Die Tonsillektomie im Kindesalter. Dtsch Arztebl 105(49):852–861 3. Deitmer T, Neuwirth C (2010) 105 cases of posttonsillectomy hemorrhage revisited. Laryngorhinootologie 89(7):424–428 4. AWMF(2015)S2k-Leitlinie„Therapieentzündlicher Erkrankungen der Gaumenmandeln – Tonsillitis“. Stand 08/2015 5. Sarny S, Habermann W, Ossimitz G, Stammberger H (2012) Die Österreichische Tonsillenstudie 2010 – Teil 2: Postoperative Blutungen. Laryngorhinootologie 91(2):98–102 6. Elinder K et al (2016) Factors influencing morbidity after paediatric tonsillectomy [. . . ]. Eur Arch Otorhinolaryngol 273(8):2249–2256 7. Bernd HE, Mlynski RA (2017) Lebensbedrohliche Notfälle in der Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde. Notf Rettungsmed 20:165–177 8. Go WH, Kim KT, Kim JY, Choe WJ, Kim JW (2012) The use of laryngeal mask airway in pediatric patient with massive post-tonsillectomy hemorrhage. Korean J Anesthesiol 63(2):177–178 9. Lim NL (2000) The use of the laryngeal mask airwayinpost-tonsillectomyhaemorrhage–acase report. Ann Acad Med Singap 29(6):764–765 10. Windfuhr JP et al (2008) Life-threatening posttonsillectomy hemorrhage. Laryngoscope 118(8):1389–1394 11. Orthopoulos G et al (2013) Gunshot wounds to the face: Emergency interventions and outcomes. World J Surg 37(10):2348–2352 12. Zickenrott V, Greb I, Henkelmann A, Balzer F, Casu S, Kaufner L, von Heymann C, Zacharowski K, Weber CF (2017) Vorhaltung von tranexamsäure im deutschen Rettungsdienst – Eine nationale Umfrage. Anaesthesist 66:249–255 13. Robb PJ (2014) Tranexamic acid – a useful drug in ENT surgery? J Laryngol Otol 128(7):574–579 14. Chan CC, Chan YY, Tanweer F (2013) Systematic review and meta-analysis of the use of tranexamic acid in tonsillectomy. Eur Arch Otorhinolaryngol 270(2):735–748
Notfall + Rettungsmedizin